Fluch und Segen

Wir sitzen noch nicht einmal eine Woche in der Wohnung und schon wird allerorts vom Lagerkoller geredet. Ich weiß gar nicht was alle haben. Zuhause ist doch super. Bis auf einen kleinen Kater vielleicht, der mir heute Morgen den Start in den Tag leicht erschwert hat, kann ich nicht klagen. Während die einen auf dem Balkon Marathon laufen oder Geige für die Nachbarn spielen, habe ich gestern Abend auf dem Balkon mit dem Nachbarn gespielt…nicht ´Ode an die Freude´ sondern Bier Pong! Streng dem Kontaktverbot folgend über den Begrenzungsbambus hinweg und mit Handschuhen. Das Spielgerät wurde vor jedem Wurf sorgfältig mit Sagrotantüchern desinfiziert. Nach dem vierten Bier ist auch der leichte Chemiegeschmack nicht mehr weiter aufgefallen. 

Inzwischen hat sich der Kater dank eines anderen großen Leverkusener Chemiegiganten verzogen und ich sitze, wie seit über einer Woche, im Homeoffice. Hier kann ich ebenfalls keine signifikanten Nachteile gegenüber einem Tag im Büro sehen. Der Kaffee ist hervorragend, keiner taucht unangemeldet an meinem Arbeitsplatz auf und ich finde es extrem angenehm morgens zur Arbeit keine Hose tragen zu müssen (Anm.d.Red.: Es mag einige Berufsgruppen geben, die daran nichts Anstößiges finden. Die arbeiten dann aber meist im Freibad, der Pornoindustrie oder dem Silicon Valley). Natürlich ist es ein Privileg in einem Beruf zu arbeiten, den man von überall auf der Welt ausüben kann, solange nur eine Internetverbindung liegt. Vielen ist dieses Privileg nicht vergönnt. Andere lehnen es rundweg ab. Ich habe volles Verständnis, dass es Berufsgruppen gibt, die äußerst ungern zu Hause arbeiten würden, Feuerwehrleute zum Beispiel. 

In Zeiten der Corona Krise ist es für viele sogar das erste Mal. Die Jungfrauen unter den Homies unterteilt der Fachmann in zwei weitere Untergruppen: Die, die schon geahnt haben, dass es Scheiße ist und jenen, die es gerade lernen müssen. Erstere konnte der aufmerksame Beobachter in der guten alten Prae-Corona Ära leicht an seinen utopisch langen Arbeitszeiten erkennen. Es sind Verheiratete mittleren Alters, die schon vor langer Zeit entdeckt haben, dass Kinderwunsch und Kinderrealität zwei komplett verschieden paar Schuhe sind und die Ehe selbst doch nicht so romantisch ist, wie ihnen der Influencer ´LittleFamily2005´ seinerzeit in rosarot ausgemalt hat. Die Gruppe der Lernenden bilden dagegen jun-gen Familien mit einem Kind plus x, in denen seinerzeit der Versorger sogar Erziehungsurlaub genommen hat, um dem Nachwuchs und wahrscheinlich bisweilen auch den Zimmerpflanzen beim Wachsen zusehen zu können. Damals war aber die Liebe noch groß, der Alltag fern und die Kita offen.

Auch wenn ich mit meiner derzeitigen Lage nicht hadere, so habe ich doch eine eindeutige Meinung zum Arbeiten von zu Hause: Die Effektivität gegenüber dem Büro sinkt mit der Summe der vorhandenen Ablenkungen exponentiell gegen Null. Da wäre zunächst die plötzliche Verfügbarkeit materieller Freizeitverlockungen, wie Fernsehen, Kühlschrank, Modelleisenbahn etc. zu nennen. Hier kommt es auf Charakterstärke an, denn sie haben auf den gemeinen Heimarbeiter in etwa dieselbe Wirkung wie eine aufgezogene Heroinspritze auf einen Junkie. Damit wäre für Singlehaushalte alles gesagt. Für alle anderen gibt es allerdings noch Variablen, die sich aus den spezifischen Lebensumständen des Heimarbeiters ergeben. Grundsätzlich gilt: Die Anzahl beziehungsweise Größe der Zimmer sollte stets im proportionalen Verhältnis zur Anzahl und Größe der Lebewesen im Haushalt stehen, ansonsten wird’s halt Kacke! Als nicht zu vernachlässigender Faktor ist aber auch die soziale Stellung des Betreffenden in der familiären Hackordnung zu sehen: Je weiter hinten der Homie steht, desto mehr Heimarbeitszeit geht der Firma durch eher unproduktive Tätigkeiten des Mitarbeiters, wie Gassi gehen und Müll runterbringen, verloren. Weiter vorne schickt man Ehepartner oder Kinder. Soweit eine kleine theoretische Betrachtung zum Arbeiten von zu Hause.

Bis auf kleinere Variationen im Suchtpotential dürfte ich repräsentativ für den Singlehaushalt sein. Zur Beurteilung der Effektivität von Homeoffice Mitarbeitern in größeren Haushalten musste ich auf Insiderberichte von Eltern mit Migränehintergrund zurückgreifen. Hier ist der Versuchsaufbau zurzeit ideal, denn sie sind dazu verdammt auf engstem Raum, anstatt vier bis acht, nun volle zwölf Wachkomastunden mit allen verfügbaren Mitgliedern des jeweiligen Haushaltes verbringen zu müssen. Eingedenk dieser Berichte verwundert es nicht, dass der Kinderschutzbund letzte Woche vor häuslicher Gewalt warnte.

Ich ziehe aber auch viel Interessantes aus dem Thema Telefonkonferenzen, die im Homeoffice inzwischen an der Tagesordnung sind. Telefonkonferenzen sind keine neue Erfindung dieser Zeit. Seit Jahren steigern sie Effektivität und reduzieren Reisekosten und CO2 Emissionen. Wurde dieses Werkzeug davor allerdings meist im Büro genutzt, so haben sie das Homeoffice in seiner jetzigen Ausprägung erst ermöglicht. Zum Thema Effektivität verweise ich auf meine oben gemachten Anmerkungen zum Homeoffice im Allgemeinen. Mit Hilfe von Telefonkonferenzen kann sich die interessierte Ein-Mann-Show so ein Bild eines Homeoffice Arbeitsplatzes mit Familienanschluss machen, ohne sich dafür eine zulegen zu müssen.

Ich komme zu dem Ergebnis, dass ich allein in meiner Butze effektiver bin. Nebenbei habe ich auch wieder meinen Familienwunsch um weitere zehn Jahre verschoben. Ich möchte sie nicht mit Details langweilen, aber ich musste feststellen, dass viele Familien augenscheinlich in bitterer Armut leben müssen. Ich schließe aus dem Geräuschpegel, gegen den die Teilnehmer bisweilen anzubrüllen haben, dass viele Familien sich nur ein Zimmer ohne Balkon im Obergeschoss eines Hochhauses leisten können. Die wenigen meiner verheirateten Kollegen, bei denen es angenehm still war, haben offensichtlich geerbt oder reich geheiratet. Denn auf meine erstaunte Nachfrage wurde mir mitgeteilt, der Ehepartner und die Kinder würden sich in separaten Räumen aufhalten oder man hätte sie bei dem schönen Wetter in den, offensichtlich weitläufigen Garten geschickt.

Gestartet bin ich heute mit der Absicht ein wenig über meinen Corona verordneten Hausarrest zu sinnieren. Gelandet bin ich beim Homeoffice mit Familienanschluss. Bleibt also nur die Frage, was aus meinen Ausführungen mitzunehmen wäre. Vielleicht, ´Kopf hoch, es kommen auch wieder bessere Zeiten´ oder sie wenigstens den Kollegen besser verstehen, der noch um 19 Uhr in der Firma sitzt, um sicherzugehen, dass der kleine Sonnenschein auch sicher im Bett ist. Auch schön wäre, wenn ein paar Eltern in der Zeit zu Hause erkennen, dass Thorben Leander eventuell doch eher verhaltensauffällig denn hochintelligent ist. So wird in Zukunft den Erziehern und Lehrern (Anm.d.Red.: Erzieherinnen und Lehrerinnen, Erziehers und Lehrers…sucht euch was aus!) gegenüber vielleicht etwas mehr Verständnis und Respekt entgegengebracht, wenn sie die ihnen anvertraute Brut die meiste Zeit des Tages haben …ohne sie zu erschlagen!