Flaute vor dem Sturm

Welch wohlige Wärme des Triumphes! In etwa so wie ich muss sich der Neandertaler gefühlt haben, als er wochenlang hungrig durchs Pleistozän streifte und endlich die Höhle des Berglöwen gefunden und selbigen mit der bloßen Hand erlegt hatte. Die Urtriebe sind zwar in unserer modernen Welt etwas verschüttet, aber Krisen wie diese bringen sie wieder ans Tageslicht. Ich habe heute eine 10er Pack vom Dreilagigen ergattert. Ja, ich gebe zu, ich wollte das Thema gestern noch totschweigen, allerdings hätte ich nicht mit einem solchen Glücksgefühl gerechnet, dass sicher mit dem eines Vorwende-Ossis beim Ergattern einer Intershop Banane zu vergleichen ist.

Nach der langen und Metabolismus-intensiven Osterzeit waren meine Bestände doch arg dezimiert und bereits letzten Donnerstag hatte sich angesichts der permanent leeren Klopapierpaletten bei mir ein wenig Unruhe eingestellt. Zu lange hatte ich die Situation verkannt. Noch als mein Vorrat Anfang letzter Woche auf zwei erbärmliche Rollen zusammengeschrumpft war, bin ich demonstrativ gelassen an besagtem Gang im Rewe vorbei defiliert. Ein ironisches Lächeln umspielte meine Lippen, wenn ich die elenden Hamsterspießer mit ihrem verzweifelten Blick vor den leeren Regalen stehen sah. Eine Überheblichkeit, die dann in etwa genauso schnell verflogen war, wie mich die Magenverstimmung am Ostermontag auf die Keramik getrieben hatte. In der Sendung mit der Maus habe ich mal gehört, dass man ein Blatt Papier maximal sieben Mal falten kann. Blödsinn, man muss nur verzweifelt genug sein!

Es ist nach wie vor erschreckend, dass wir es auch Wochen nach Beginn des Lockdown immer noch nicht geschafft haben, über dieses leidige Thema hinweggekommen zu sein. Da gehen plötzlich ein paar Millionen Arbeitnehmer für den Morgenschiss nicht mehr aufs Firmenklo und schon bricht die Privatversorgung mit dem schnöden Zellstoff zusammen? Ich bleibe dabei, wenn das Verhalten in einer Krise als Spiegel der Seele anzusehen ist, sagt das einiges über den Zustand einer Gesellschaft aus.

Sie sehen, wenn ich mich an so einem trivialen Thema hochziehen muss, kann nicht viel los sein an der Corona-Front. Es scheint die Ruhe vor dem Sturm. Alle haben über mögliche Lockerungen spekuliert und sich dabei medienwirksam positioniert. Ich denke erst nach dem Treffen der Bundeskanzlerin mit dem Corona Kabinett am Mittwoch, geht der Wahnsinn in die nächste Runde. Die Wahrheit wird irgendwo zwischen den Entscheidungen von Österreich und Frankreich liegen und ich befürchte, sie werden die Krise verschärfen und die Risikogruppen nicht effektiv genug schützen, zumal ich nicht davon ausgehe, dass eine geordnete Strategie beim Einsatz immunisierter Personen, weder beim professionellen Pflege- und Medizinpersonal noch im  ehrenamtlichen Einsatz, vorgesehen sein wird.

Bis dahin werde ich mich mit kleinen Schmankerln aus den Tagesmeldungen begnügen. Mein Lieblingssatz heute kam im Zusammenhang mit der Verpflichtung von Bruno Labbadia als neuen Trainer von Hertha BSC Berlin. Beim Rückblick auf die bisherigen drei Trainer dieser Saison sprach der Reporter von Glanz und Stabilität, den Jürgen Klinsmann in den Hauptstadtclub mitgebracht hätte. Was seltsam ist, denn ich erinnere mich mehr an Inkompetenz und Stillstand sowie tödlich beleidigte Beteiligte in einem ziemlich armseligen Schmierentheater beim abrupten Vertragsende. Man sollte den Medien aber keinen Vorwurf machen, beim wochenlangen Schönreden des Krisenmanagements der Bundesregierung hat man sich beim rosaroten Verzerren historischen Versagens wohl so sehr in Rage gelobhudelt, dass im Moment sogar der Eichenprozessionsspinner rückblickend als kleines knuddeliges Flauschbällchen verklärt werden würde.

Während Labbadia sich noch in der Pressekonferenz beklagt, dass er seine Spieler beim Training noch nicht einmal in die Arme nehmen kann (Anm.d.Red.: Ohne Worte!) ist man andernorts nach wie vor im Ligamodus. Denn eSport boomt. Zur Erinnerung, damit bezeichnen Spielkonsole-geile Computernerds ihr Treiben, bei dem sie den ganzen Tag nahezu bewegungslos vor einem Bildschirm sitzen und allein oder im Team mit anderen Spacken im besten Fall das praktizieren, wozu Menschen, die klar im Kopf sind vor die Tür oder wenigstens in die Halle gehen, nämlich Sport. Im schlimmeren Fall spielen sie Ego Shooter, Ballerspiele, die unverständlicherweise ebenfalls unter eSport firmieren. Wenigstens werden hier die Spieler bisweilen animiert vor die Tür zu gehen. Dann nennt man sie aber Amokläufer.

Ich hatte schon vor 35 Jahren ein Problem damit, als sich ein Schulkamerad stolz den  Aufkleber ´Schach-Sport´ auf den Schulranzen klebte. Auch der, natürlich existierende Verband der eSport Treibenden schlägt in dieselbe Kerbe, sehen beide Vereinigungen doch die stattfindende Gehirnakrobatik als eine Art virtuelles Bodenturnen an. Damals wie heute bin ich allerdings der Meinung, dass Tätigkeiten, bei denen man problemlos Erdnussflips fressen kann, nicht als Sport bezeichnet werden dürften.

Jetzt hat die Corona Krise für den gemeinen eSport Protagonisten eigentlich nicht viel am Tagesablauf geändert. Man geht nicht vor die Tür, hängt vor der Glotze und hat wenig bis garkeinen Kontakt zu realen Menschen. Seit dem Shutdown muss man sogar noch nicht einmal mehr zur Schule, dem Sozialamt oder, in ganz seltenen Fällen, zur Arbeit. Ich kenne keine entsprechende Corona-Statistik, aber bin ziemlich sicher, dass das Virus noch nicht einen einzigen eSportler dahingerafft hat, trotz sicherlich diverser Vorerkrankungen.

Richtig befeuert wurde eSport aber erst durch die ebenfalls zur Untätigkeit verdammten Fussballprofis und andere Gladiatoren der modernen Volksbespassung. Gut, ein Hakimi hat auch, als der Ball noch rollte, in Trainingspausen sicher eher zu einem Controller, denn zu einem guten Buch gegriffen. Aber ihn nun im Fernsehen zu sehen, wie es sich selbst bei Fifa20 auf der PS4 spielt, hätte nicht nur Siegmund Freud dazu veranlasst, dem Mann eine äußerst gespaltene Beziehung zu seiner Persönlichkeit zu attestieren. Ich brauche diesen Quatsch nicht und hoffe unsere überbezahlten Zwangsreservisten fangen asap wieder mit dem an, was sie am besten können: Mich im Stadion zu unterhalten!

In der größten Freiluftklapse der Welt gingen Donald Trump heute wenig überraschend mal wieder die Argumente aus und kurz darauf einer 93-Jährigen in Pennsylvania das Bier. Wahrscheinlich war sie zu angeschickert, um die Nachbarn zu bitten Nachschub zu besorgen. Deshalb hat sie einen Hilferuf ins Fenster gehängt: `Need Beer! ´. Kurze Zeit später hat eine Brauerei den Hilferuf erhört, 150 Dosen geliefert und die alte Dame war wieder glücklich. Es sieht so aus, als ob nicht nur ich heute Themenfindungsprobleme hatte!