Schein und Sein

Wie angekündigt geht es heute dort weiter, wo ich gestern aufgehört habe. Bevor wie aber dazu kommen, die Gründe für die stagnierenden Infektionszahlen trotz Lockdown ´light´ zu beleuchten, müssen wir uns vorher zunächst ein wenig die aktuelle Corona-Teststrategie anschauen.

Zunächst einmal ist festzuhalten, dass seit Monaten die Regierung rumheult, dass die Labore an ihren Belastungsgrenzen arbeiten. Trotzdem kann man der Webseite des RKI entnehmen, dass sich die Anzahl der wöchentlich in besagten Laboren ausgewerteten Tests allein im Oktober von 1,2 Millionen auf 1,6 Millionen kontinuierlich gesteigert haben.  Noch ein süffisantes Detail am Rande. Während man in den 10 Tagen vor Beginn des Lockdown ´light´, ohne große mediale Aufmerksamkeit, die wöchentlichen Testkapazitäten um 20% auf 1,6 Millionen hochgefahren hatte und somit natürlich auch die Zahl der gefundenen Infektionen künstlich steigerte, wurden die Kapazitäten von Beginn des Lockdown bis heute um 20% auf 1,3 Millionen reduziert. Dumm nur für die Regierung, dass sich die Infektionszahlen, besser gesagt die Zahl der positiven Tests nicht entsprechend reduzierte, sondern allenfalls stagnierte. Guter Marketingplan, hat leider nicht funktioniert!

Statt sich selbst fürs tolle Krisenmanagement zu feiern muss man nun nach Schuldigen suchen. Die Regierung in Gestalt von Markus Söder bezeichnet das aktuelle Infektionsgeschehen deshalb als diffus, ein anderer Ausdruck dafür, dass sie keine Ahnung hat, wieso die Infektionszahlen trotz Lockdown ´light´ nicht sinken. (Anm.d.Red.: Komischerweise weiß man aber ganz genau, dass es irgendwie immer an der mangelnden Kooperation der Bevölkerung im privaten Sektor liegt, weswegen Kontaktbeschränkung nach wie vor das alleinige Allheilmittel sein muss, auch wenn es unverhältnismäßig die wirtschaftlichen und sozialen Belange schädigt und meist ohnehin nur bis zu einem gewissen Grad funktioniert). Nicht einmal in den Hotspots, wie in Passau kann man genau nachvollziehen, warum es gerade dort schlimmer ist als anderswo. Das ist keine neue Erkenntnis. Auch beim Superspreader-Event in Garmisch-Patenkirchen, bei dem man schnell die böse amerikanische Corona-Hexe gefunden zu haben glaubte, durfte man kurze Zeit später wieder zurückrudern (Anm.d.Red.: Siehe unter anderem mein Blog vom 16.09.20, ´Mallus Malleficarum´). Ähnlich erfolglos verliefen die Untersuchungen in Berchtesgaden. Von der Orgeleinweihung als angeblichem Auslöser hörte man auch nichts mehr (Anm.d.Red.: Siehe mein Blog vom 19.10.20, `Bergfest`). Wahrscheinlich auch besser, zumal man andernfalls in Erklärungsnot gekommen wäre, weil man die Gottesdienste auch im Lockdown ´light´ weiter erlaubt hatte. Das sind alles Beweise, dass die Arbeit der Gesundheitsämter bei der Infektionskettenverfolgung nicht weiterhilft und somit als eine der Hauptbegründungen der Bundesregierung nicht taugt, warum es so wichtig sei, die Infektionszahlen zu senken.

Ich kann die Ratlosigkeit der Regierung hinsichtlich der stagnierenden Infektionszahlen nicht verstehen, zumal es ja nicht die Zahl der Neuinfektionen sind, die stagnieren, sondern die Zahl der Personen, die positiv auf das Corona-Virus getestet wurden. Schaut man sich nur zwei bis drei weitere Statistiken an, sollte es eigentlich jedem klar sein, wie es sich mit der Pandemielage in Deutschland verhält.

 

Zunächst einmal ist es nicht so, dass die meisten Tests an Menschen durchgeführt werden würden, die morgens mit Grippesymptomen aufwachen und mittags getestet werden oder sich als Arzte, Pflegepersonal oder Pädagogen regelmäßig testen lassen können. Diese Personen sind nur der berühmte Spreader, also die Auslöser für das, was dann kommt. Die große Masse der Testungen ergibt sich erst in der Folge, dank der geltenden Festlegungen. Hier liegt aktuell das Augenmerk auf den Schulen, Kitas, die um jeden Preis offenbleiben müssen und den Kranken- und Pflegeeinrichtungen zum Schutz der vulnerablen Gruppen. Anders ausgedrückt, ein positiv getesteter Schüler sorgt für 4 bis 20 zusätzliche Testungen allein in der Schule, ein infizierter Betreuer oder Bewohner eines Pflegeheims für die Testung einer ganzen Station oder sogar einer ganzen Einrichtung. Je nach geltender Regelung im Bundesland und Einschätzung beziehungsweise Kompetenz der Verantwortlichen können diese Werte beliebig ansteigen (Anm.d.Red.: Oder aber es wird gar nicht getestet, wie in meinem beschriebenen Fall in einem Pflegeheim, wo man das Gesundheitsamt zum Testen tragen musste. Siehe mein Blog vom 21.10.20, `Von Amts wegen´. Übrigens waren hier letzten Endes ebenso viele Bewohner infiziert, wie vor ein paar Wochen in Ulm. Während aber aus Ulm zwei Tage lang rund um die Uhr in den Nachrichten von der Überlastungssituation berichtet wurde, hörte man von ´meinem´ Pflegeheim nichts. Gutes Beispiel dafür, dass auch viel von der Kompetenz der Verantwortlichen abhängt und zynischerweise natürlich von den Todesopfern. In meinem Beispiel hatten alle überlebt). Last but not least kommt dann noch das Gesundheitsamt mit seiner zweifelhaften Infektionskettenverfolgung, was für den infizierten Schüler beziehungsweise das infizierte medizinische Personal die eigene Familie im selben Haushalt betrifft, beim infizierten Bewohner der Einrichtung  dagegen die direkten Besucher, wenn er denn welche hatte (Anm.d.Red.: Natürlich gibt es auch Corona-Infizierte im Alter zwischen 18 du 65, allerdings merken die das meist gar nicht, weil symptomfrei und wenn es doch auffällt, hat der Betreffende dann meist über seine Familie eher einen zusätzlichen Corona-Fall in Schule oder Kita getragen als dass umgekehrt aus der Schule heraus ein Infektionseintrag in die Familie erfolgen würde. Kita-Kinder beziehungsweise Schüler sind erwiesenermaßen weniger die Überträger). Es kann also gefolgert werden, dass weit über die Hälfte der durchgeführten Corona-Tests zurzeit in Kitas, Schulen, sowie Alten- und Pflegeheimen laufen. Schon seit der ersten Welle ist bekannt: ´Wer viel testet, findet viel´. Schlussfolgerung: Die Zahlen des RKI, dass es gerade vermehrt Menschen unter 18 und über 75 Jahren trifft, ist absolut nachvollziehbar, weil auch dort im Moment am meisten getestet wird. In den Sommermonaten testete man vermehrt Reiserückkehrer und demensprechend lag der Schwerpunkt der gefundenen Infektionen bei Menschen im jungen und mittleren Alter, zumal mit zunehmender Alter die Reisetätigkeit abnimmt. Eigentlich sind das ganz logische Zusammenhänge. Trotzdem können sich RKI und Politik diese Verteilung angeblich nicht erklären. Die Aussage von Lothar Wieler, dass sich zurzeit mehr Menschen in diesen beiden Gruppen der Schüler und Älteren anstecken ist schlicht falsch. Richtig ist, dass dort deutlich mehr Infektionen gefunden werden, weil hier auch deutlich mehr getestet wird. Da ich weder RKI noch Regierung für blöde halte, muss ich annehmen, dass sie diese Problematik bewusst nicht weiter vertiefen wollen, beziehungsweise wahrscheinlich auch dafür sorgen, dass auf Pressekonferenzen dreierlei Fragen nicht gestellt werden. Womit wir sofort bei dem ´Warum´ sind. Ich habe lange überlegt und bin nur auf eine logische Erklärung gekommen: Die offensichtlich falsche Aussage des RKI, dass wieder vermehrt alte Menschen in den vulnerablen Gruppen infiziert werden, soll erklären, warum die Todeszahlen trotz konstanter Infektionszahlen immer neue Tageshöchstwerte erreichen. Das bringt uns umgehend zur nächsten Frage, welche Gründe nun wirklich für die steigenden Todeszahlen bei stagnierendem Infektionsgeschehen verantwortlich sind. Bevor ich mich mit diesem Thema beschäftigen konnte, ist mir leider das Wochenende dazwischengekommen. Bis Montag!