Eine christlich demokratische Weihnachtsgeschichte, Akt 2

Akt 2, Die Ankunft (24.12.2020)

 

Irgendwo auf der A3 bei Montabaur

 

ERZÄHLER Josef, inzwischen durchaus mit seiner exponierten Position als Auserwählter kokettierend, saß politisch korrekt in seinem vollelektrischen Gefährt und hatte das, was man als einen ganz dicken Hals bezeichnete. Nicht aufgrund der Virusinfektion, sondern weil 7 Uhr morgens so gar nicht seine Zeit war und Maria darauf bestanden hatte, wie jedes Jahr im Dezember, zum Jubeltag ihres Vaters nach Frankfurt zu fahren. Dabei war sie hochschwanger und die Niederkunft war nahe. Außerdem hatte er sich immer noch nicht an den Gedanken gewöhnt, dass seine Maria, so ganz ohne sein Zutun, schwanger geworden war. Trotzdem hatte Josef getan, wie ihm der Engel in jener Nacht geheißen und war mit Maria im Sommer zwischen zwei Lockdowns die Ehe eingegangen, ohne sie jedoch vollziehen zu können. Letzteres vermochte seine Laune auch nicht gerade zu heben. Immerhin konnte Maria ihn inzwischen davon überzeugen, dass es wirklich ein Engel war, der ihm damals die frohe Kunde gebracht hatte. Den Verdacht, es wäre ein perfider Plan, bei dem man ihn unter bewusstseinserweiternde Drogen gesetzt hätte, um ihm in der Folge ein Kuckuckskind unterzuschieben, konnte seine Frau zerstreuen. Monate waren vergangen und die Schwangerschaft verlief so unkompliziert, wie der Engel es prophezeit hatte. Es war Dezember und saukalt. Das Auto kämpfte sich auf der A3 durch 20 cm Neuschnee, der in der Nacht gefallen war. Die Räumdienste hatten die Autobahn noch nicht von den Schneemassen befreit, was Josef einfach nicht verstehen konnte. In den Medien hatten die Regierenden doch pünktlich zur ersten Schneeflocke klargestellt, dass alle Straßenarbeiter Helden wären, die mit ihrem übermenschlichen Einsatz in der Pandemie für freie Fahrt für freie Bürger kämpfen würden. Wieso jetzt 30% besagter Helden symptomfrei mit Corona in einer 14-tägigen Quarantäne zu Hause rumlungerten, statt allein in einem Räumfahrzeug ihre Arbeit zu tun, wollte ihm einfach nicht einleuchten. Wen bitte sollten die Spacken da wohl anstecken? Während Josef diesen und weiteren trüben Gedanken nachhing, zum Beispiel warum er nicht in Allrad investiert hatte, statt bei Eis und Schnee in diesem politisch korrekten Fahrzeug rumzugurken, hatte Maria mit ihrem Vater telefoniert und legte in diesem Moment auf.

 

MARIA Wir haben ein Problem.

JOSEF Ja, wir fahren zu Deinen Eltern.

MARIA schneidet eine Grimasse Nein, meine Schwester Magdalena hatte einen Anruf vom Gesundheitsamt. Dort hat man herausgefunden, dass Leon-Benedikt in der Kita Kontakt zu einem Kind hatte, dessen Cousin einen kennt, der mit einer verheiratet ist, die auf einer Anti-Corona Demo ohne Mundschutz gesehen wurde. Sei müssen nun 5 Tage in Quarantäne, bevor sie sich testen lassen können.

JOSEF Du willst mir jetzt aber nicht kryptisch nahebringen, dass wir nicht bei Deiner Schwester übernachten können.

MARIA Keine Ahnung was daran kryptisch sein soll, aber ja, genau das!

JOSEF Aber wir sind doch auserwählt. Was soll uns bei Deiner Schwester passieren?

MARIA Nichts, aber wenn alle anderen wegen der ständigen Panikmache hohl drehen, wie sollen wir dann der Familie erklären, dass wir mit Corona kein Thema haben? Du weißt was Gott mir gesagt hat?! Wenn wir nicht in der Klapse enden wollen, sollten wir nicht mit dieser ´Heiland-Sache´ hausieren gehen. Außerdem würde es Jesus hinterher seine Mission nur unnötig erschweren.

JOSEF jammert Ich hab´s geahnt. Hab ich dir nicht gesagt, wir sagen nur dieses eine Mal ab? Alle Herbergen sind wegen des Lockdowns geschlossen und in der kleinen Wohnung Deiner Eltern überlebe ich nicht eine Nacht.

MARIA Jetzt schalt mal einen Gang zurück. Wir übernachten nicht bei meinen Eltern. Mein Vater hat eine Lösung. Er hat von einem Kollegen den Schlüssel zu dessen Wochenendrefugium bekommen.

JOSEF Refugium? Wieso beruhigt mich das jetzt nicht, wenn so etwas von Deinem Vater kommt? Und wenn die Wehen einsetzen? Geh Du wenigstens in ein Krankenhaus.

MARIA Wir waren uns doch einig, dass wir bei der aktuellen Situation in den Krankenhäusern eine Hausgeburt vorziehen. Mir wurde ohnehin eine komplikationsfreie Niederkunft und ein Berater garantiert, der am Ort der Geburt auf uns wartet. Denkst du ich will statt Corona hinterher noch einen Krankenhauskeim bekommen? Auch wenn momentan gerne so getan wird, als ob nur noch an Corona gestorben wird, machen die anderen Keime keine Schaffenspause. Der Heiland muss ja nicht unbedingt als Halbwaise aufwachsen.

JOSEF Streng genommen ist er das ohnehin.

MARIA Was meinst Du?

JOSEF Halbwaise - mit drohendem Unterton - Es war doch ne unbefleckten Empfängnis, oder?

 

Maria schaut ihn strafend an.

 

JOSEF kleinlaut Das war jetzt doof, oder?

MARIA Merkste selber, ne!?

 

Etwa zur selben Zeit in der Hauptstadt im Palast der Herrscherin, Büro Außenstelle der südlichen Berglande

 

ERZÄHLER Seit Beginn der Pandemie hatte sich Södi, der Herrscher der südlichen Berglande mehr hier aufgehalten und seine Allmachtsphantasien gepflegt, als sich in seinem Fürstentum um seine Untertanen zu kümmern. So war er nicht nur zum inoffiziellen Vertreter der amtsmüden Herrscherin geworden, sondern hatte auch ein gutes Auge auf das, was im Palast so geschah, um nötigenfalls eingreifen zu können, sollte etwas seinen Interessen zuwiderlaufen. So auch gerade eben, als man ihm mitteilte am Flughafen wären drei seltsam gewandente, aber sehr wichtig aussehende Männer aufgetaucht, die etwas vom Retter der Welt faselten und die Chefin sprechen wollten. Alarmiert hatte er angeordnet die drei zu ihm zu bringen.

 

Der Herrscher der südlichen Berglande steht an seinem Schreibpult und blättert im Manuskript zu seiner täglichen Corona-Ansprache ans Volk.

 

SÖDI vor sich hin murmelnd Vielleicht sollte ich hier mal ein wenig variieren. Immer nur von Leugnern zu reden – er lutscht nachdenklich am Stift, hält inne, entscheidet sich dann aber anders  – passt schon. Wie heißt es so schön: Der beste Lügner ist der, der mit den wenigsten Lügen am längsten auskommt.

 

Die Tür öffnet sich und drei kostbar gewandete Männer treten ein. Allem Anschein nach aus verschiedenen Teilen der Welt. Praktischerweise reden sie aber alle deutsch.

 

SÖDI Seid gegrüßt! Mit wem habe ich das Vergnügen?

MELCHIOR Gleichfalls! Wir sind drei Würdenträger aus allen Teilen der bekannten Welt. Mein Name ist Melchior aus dem reichen Westen, der stark pigmentierte Geselle heißt Caspar und kommt aus den Wüsten des Südens und der Herr in den Pluderhosen ist Balthasar aus den östlichen Landen.

SÖDI zu Balthasar Ach, dann kann ich mich endlich mal für die Pandemie bedanken. Dass Ihr aber auch alles in den Mund stecken müsst. Fledermäuse? Echt jetzt?

BALTHASAR Ich lasse Dir gerne das Rezept zukommen. Du und Deine christlich demokratische Partei leidet dank uns aber auf sehr hohem Niveau. Wann hatten ihr zuletzt 37% Zustimmung im Volke?

SÖDI Auch wieder wahr. Was ist Euer Begehr?

MELCHIOR Dürfen wir zunächst die Masken abnehmen. Wir sind schließlich unter uns und wissen doch alle, dass der Mummenschanz nichts bringt.

 

Södi nickt und macht eine auffordernde Geste. Kollektives Masken-Abnehmen.

 

SÖDI Aber hinterher wieder schön aufsetzen. Ich habe einen Ruf zu verlieren. Wo waren wir? Ach ja, was kann ich für Euch tun?

MELCHIOR Gemäß den alten Schriften soll in der Zeit der überschätzen Pandemie ein Retter geboren werden. Am Tage der Virusmutation soll die Zeit seiner Geburt nahe sein und ein neuer Stern am Firmament würde den Weg zum Ort seiner Geburt weisen.

SÖDI Ich kenne die alten Schriften, aber ich finde jetzt nicht, dass die Pandemie…

BALTHASAR unterbricht Wem willst Du etwas vormachen? Eine alljährliche Corona-Welle mit nicht nachweisbarer Übersterblichkeit, trotzdem überall Stillstand des öffentlichen Lebens und über 250 Milliarden Euro neue Schulden allein in Deinem Land. Soll ich fortfahren?

 

Södi schüttelt betreten den Kopf.

 

MELCHIOR beschwichtigend Der Vorsehung ist es gleich, wer letzten Endes dafür verantwortlich war. Es wäre uns vielleicht auch nicht weiter aufgefallen, wenn gestern Nacht nicht ein Engel erschienen wäre, der überraschend detaillierte Instruktionen im Gepäck hatte. Als wir dann den Stern über Eurem Land aufgehen sahen, haben wir uns aufgemacht, um dem potenziellen Heiland zu huldigen. Sicher ist sicher. Leider hat man uns an Eurem Flughafen die Weiterreise verweigert, weil einer der Corona-Tests älter als 24 Stunden war…

CASPAR an Melchior gewandt Du brauchst Dich gar nicht so aufzuspielen, ich komme schließlich von viel weiter her als Du und Balthasar hatte wegen der Zeitverschiebung beim Sternegucken 6 Stunden Vorsprung. Wahrscheinlich ist sein Test auch älter als 24 Stunden. Es ist nur keinem aufgefallen, weil er aus ner anderen Zeitzone kommt.

BALTHASAR mischt sich ein Gib einfach zu, dass Euere Gesundheitsämter überlastet sind.

CASPAR Gar nicht wahr. Ihr in den Industrienationen habt uns doch alle PCR-Tests vor der Nase weggekauft.

BALTHASAR Was hat das denn jetzt damit zu tun, dass Dein Test älter als 24 Stunden war?

 

Södi scheint gar nicht richtig zuzuhören und denkt angestrengt nach, schließlich fasst er einen Entschluss und unterbricht die Streitenden.

 

SÖDI Ich habe einen Vorschlag für Euch. Ich werde veranlassen, dass der Test von Caspar umgehend nachgeholt wird. Das dauert etwa 24 Stunden.

CASPAR mault Ein Schnelltest würde es sicher auch tun.

BALTHASAR schon wieder auf Krawall gebürstet Viel zu hohe Fehlerquote. Am Ende infizierst Du noch den Heiland.

CASPAR triumphierend Kinder kann Corona gar nichts anhaben.

SÖDI Und wenn Du die Eltern ansteckst? Der Heiland als Vollwaise, dann kann ich meine… - er unterbricht sich – nein, die Regel sind die Regeln.  Caspar macht den Test und dann könnt Ihr weiterreisen und dem Retter der Welt huldigen. Solange seid Ihr natürlich meine Gäste im ersten Hotel am Platze.

MELCHIOR Sehr großmütig, aber ich dachte ihr habt unsinnigerweise die Hotels geschlossen?

SÖDI Nur für touristische Reisen. ´Huldigen´ fällt eindeutig unter Geschäftsreise.

 

Die Weisen erkennen die Logik hinter diesen Worten und Södi sorgt dafür, dass sie zum nächsten Testcenter und später ins Adlon gebracht werden. Sobald sich die Tür geschlossen hat greift Södi zum Telefon.

 

SÖDI Sag mal Spahni, was weißt Du über eine neue Mutation?... Aha, wieso weiß ich nichts davon?...welche Rundmail?...seit wann interessiert uns was die Spinner dazu sagen? Meister Drosti und Gevatter Wieli sagen, was wir hören wollen und nicht was wir machen sollen. Trotzdem, kann da etwas dran sein?...wer ist der Chefin erschienen?...wieso ist sie nicht sofort da hin?...Ach so, kein Hygienekonzept. Gut, wenn da ein Heiland ist, dann wird das ein christlich demokratischer Erlöser. Ich habe einen Plan. Komm sofort rüber und bring den Froschfresser mit.

HANSI etwas dumpf aus dem Off Aber ich bin doch schon da und ich mag überhaupt keine Froschschenkel.

SÖDI Stopp, der Schleimer ist schon da….Ja, mach hin! – er legt auf und spricht scheinbar ins Leere – Es wird Zeit, dass Du da rauskommst. Wir haben zu tun.

 

Später am Tage am Rande von Frankfurt

 

ERZÄHLER Maria und Josef waren inzwischen in Frankfurt angekommen und hatten bei Marias Eltern zu Mittag gegessen. Dann hat Josef vom überraschend einsilbigen Schwiegervater den Schlüssel und die Adresse des besagten Wochenendrefugium bekommen. Da es am Nachmittag wieder schneien sollte und ohnehin bald die coronale Ausgangssperre begann, hatten sie sich auf den Weg gemacht und nach einigem Suchen ihre Unterkunft für die nächsten beiden Nächte gefunden. An einem großen Holztor hingein Schild. Sie stiegen aus und stapften durch den Schnee zum Tor.

 

Josef liest entgeistert, was auf dem Schild steht: ´Gnadenhof Eselsglück´.

 

JOSEF Echt jetzt?

MARIA Na super, ich hab mir den Ort meiner ersten Niederkunft auch anders vorgestellt. Ich frage mich, wo in dieser Einöde der prophezeite Berater stecken soll – sie fröstelt – Schatz, es ist saukalt. Los sperr die Tür auf.

 

Josef flucht leise vor sich hin und öffnet das Holztor. Dahinter kommen mehrere Stallungen zum Vorschein. Sie kämpfen sich durch hüfthohe Schneewehen voran. Man hört das Knacken eines Bewegungsmelders und der Hof wird in ein schummriges Licht getaucht.

 

MARIA Papa hat gesagt es ist das neu renovierte Gebäude auf der rechten Seite – sie zeigt auf einen frisch gestrichenen Stall - Sein Freund hätte sich dort einen Teil des Stalles abgetrennt und eine Einliegerwohnung reingebaut. Die Heizung ist eingeschaltet, weil dort schon zwei Patienten liegen. Wahrscheinlich verletzte Kätzchen.

 

Josef sperrt die Tür auf und tastet nach dem Lichtschalter.

 

JOSEF verzieht das Gesicht Riecht irgendwie strenger als Katze.

 

Das Licht flammt auf.

 

OCHSE hysterisch Wenn Ihr hier ohne Maske rumlaufen wollt, erwarte ich einen negativen PCR-Test, die Handdesinfektion steht rechts. Und würdet Ihr bitte die Fenster aufmachen, hier wurde seit Tagen nicht gelüftet.

JOSEF Ich glaube das sind keine Kätzchen.

 

ESEL Merkste selber, ne?